Warum uns der Wegfall von Pflegegrad 1 wirklich betrifft
Als Pflegeberaterin oder Pflegeberater nach § 7a SGB XI sind wir in der Regel die erste Anlaufstelle, wenn pflegebedürftige Menschen oder ihre Angehörigen Orientierung im Dickicht der Leistungen brauchen. Viele unserer Ratsuchenden kommen mit Pflegegrad 1 zu uns – Menschen, die noch vergleichsweise selbstständig leben, aber spüren, dass es alleine nicht mehr so gut geht. Diesen Menschen erklären wir, welche Hilfen die Pflegeversicherung bereithält und wie sie ihre Selbständigkeit so lange wie möglich erhalten können.
Pflegegrad 1 – mehr als ein bürokratisches Detail

Auf dem Papier wirkt Pflegegrad 1 unscheinbar: Er ist für Menschen mit geringen Beeinträchtigungen gedacht und enthält noch kein Pflegegeld. Tatsächlich aber erhalten Betroffene damit einige niedrigschwellige Leistungen, die ihnen den Alltag erleichtern und uns als Beratenden eine wichtige Tür öffnen. Dazu gehören:
- Ein individueller Anspruch auf Pflegeberatung und halbjährliche Hausbesuche. Schon mit Pflegegrad 1 können Betroffene einen Beratungstermin bei der Pflegekasse oder im nächstgelegenen Pflegestützpunkt vereinbaren. Auf Wunsch kommt eine Pflegeberaterin oder ein Pflegeberater alle sechs Monate nach Hause und schaut gemeinsam, wo es klemmt.
- Der Entlastungsbetrag von derzeit 131 Euro pro Monat. Damit können sie haushaltsnahe Dienste, Alltagsbegleiter oder sogar körperbezogene Pflege bezahlen – und dabei lernen sie oft ambulante Dienste kennen, die ihnen später wichtig werden.
- Zuschüsse für Pflegehilfsmittel und barrierefreie Umbauten. Wer im Pflegegrad 1 ist, erhält monatlich 42 Euro für Verbrauchshilfsmittel und bis zu 4180 Euro für Maßnahmen wie den Einbau einer bodengleichen Dusche.
Es sind diese Leistungen, die viele Menschen überhaupt erst in Kontakt mit uns bringen. Eine kommunale Pflegestützpunktleiterin beschrieb Pflegegrad 1 als „erste Kontaktaufnahme mit dem Pflegesystem“ – ohne den Einstiegshilfe könnten viele sich professionelle Hilfe im Haushalt gar nicht leisten und würden zu Hause still vor sich hin kämpfen.
Was passiert, wenn Pflegegrad 1 gestrichen wird?
In den letzten Monaten wird ernsthaft diskutiert, den Pflegegrad 1 aus Spargründen zu streichen. Die Bundesregierung begründet dies mit der finanziellen Schieflage der Pflegeversicherung, Sozialverbände halten dagegen, dass damit über 860000 Betroffenen präventive Hilfen entzogen würden. Unsere Arbeit würde das unmittelbar spüren.
Wegfall der freiwilligen Beratungseinsätze
Für Pflegegrad-1-Empfänger ist der Beratungseinsatz nach § 37 Abs. 3 SGB XI bisher freiwillig. Sie können ihn einmal pro Halbjahr in Anspruch nehmen. Wir nutzen diese Termine, um vor Ort zu sehen, wo Hürden bestehen, zu Wohnraumanpassungen zu beraten und auf Pflegekurse oder Unterstützungsangebote hinzuweisen. Fällt Pflegegrad 1 weg, entfällt auch diese Möglichkeit für Menschen mit ersten Einschränkungen – die Türen in die Haushalte bleiben zu, bis eine höhere Einstufung erfolgt.
Verspätete Hilfe und höhere Pflegegrade
Die dbb-Bundesseniorenvertretung nennt Pflegegrad 1 eine „Brücke, die Menschen mit beginnenden Einschränkungen im Alltag hält“ – er ermöglicht Haushaltshilfen und kleine Umbauten, die verhindern, dass Probleme eskalieren. Wenn diese Brücke fehlt, werden wir viele Ratsuchende erst mit Pflegegrad 2 oder 3 kennenlernen. Dann sind Hausbesuche nach § 37 Abs. 3 zwar Pflicht und finden halbjährlich oder vierteljährlich statt, aber der Unterstützungsbedarf ist viel größer.
So beschreibt der Sozialverband SoVD, dass der Wegfall niedrigschwelliger Hilfen dazu führt, dass Hilfen zu spät einsetzen, die Selbständigkeit schneller abnimmt und am Ende teurere stationäre Versorgung notwendig wird. Für uns als Beratende bedeutet das: weniger präventive Beratung, dafür mehr Krisenmanagement und oft auch die Suche nach stationären Plätzen.
Mehr Belastung für Angehörige – weniger Entlastung für uns
Pflegegrad 1 entlastet pflegende Angehörige über den Entlastungsbetrag. Ohne diese Unterstützung müssen Familien mehr selbst leisten, und sie melden sich häufig erst, wenn sie am Limit sind. Gleichzeitig zeigen Analysen, dass Menschen dann eher höhere Pflegegrade beantragen – was für uns mehr Pflichtberatungen nach § 37 Abs. 3 bedeutet und langfristig den Beratungsaufwand erhöht.
Fazit: Auch wir brauchen diese „Einstiegshilfe“
Für uns als Pflegeberaterinnen und Pflegeberater nach § 7a und § 37 Abs. 3 ist der Pflegegrad 1 kein unwichtiger Verwaltungsakt, sondern die Tür zum frühzeitigen Kontakt. Mit ihm erreichen wir Menschen, bevor die Pflegebedürftigkeit so stark ausgeprägt ist, dass ein Heim oder eine stundenweise professionelle Betreuung unumgänglich wird. Fällt diese Stufe weg, sinkt die Zahl der Hausbesuche zunächst. Doch langfristig drohen uns mehr belastende Fälle, weil Prävention fehlt.
Darum sollten wir uns laut zu Wort melden: Pflegegrad 1 ermöglicht präventive Pflegeberatung, entlastet Angehörige und gibt unseren Beratungsstellen die Chance, frühzeitig zu unterstützen. Eine Streichung ginge an der Realität vorbei und würde uns alle – Betroffene, Angehörige und Beratungsfachkräfte – teuer zu stehen kommen.
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